Montag, 18. Juni 2012

CNN Interview mit Schwester Joan Chittester - Abweichen von den Vorgaben des Vatikans

CNN Interview, 14.06. 2012

Christiane Amanpour im Gespräch mit Sister Joan Chittister

http://amanpour.blogs.cnn.com/category/latest-episode/ (eigene Übersetzung)



Christiane Amanpour: Willkommen zurück zum Program. Wir wenden uns nun der katholischen Kirche zu, die kürzlich einen Bericht veröffentlicht hat, der die Nonnen hier in den Vereinigten Staaten kritisiert. Er behauptet, dass die Nonnen von der Glaubenslehre der Kirche abweichen und bezieht sich auf radikal feministische Forderungen aus ihren Reihen. Mein nächster Gast ist eine praktizierende Nonne und ehemalige Vorsitzende der Gruppe, die die Mehrheit der Nonnen in den Vereinigten Staaten repräsentiert. Schwester Joan Chittister, willkommen zum Programm!

Schwester Joan: Danke, Christiane.

Christiane Amanpour: Dieses Dokument wurde veröffentlicht und es hat die Nonnen kritisiert. Lassen Sie mich ein paar Dinge erwähnen, die im Dokument angeführt werden. Wie wir bereits sagten, radikal feministische Forderungen, keine Aussagen zum Recht auf Leben, Verwirrung über die authentische Glaubenslehre der Kirche - in anderen Worten - Abweichung vom Parteiprogramm des Vatikans. Was antworten Sie darauf? Dies sind ernste Anklagen.

Schwester Joan: Ich möchte mit dem ersten Punkt beginnen, weil ich glaube, dass dieser die Säule ist, auf den die den Rest des Falls gebaut haben. Die nennen uns radikal feministisch - das ist ja peinlich! Und es ist nicht peinlich für mich - es sollte denen peinlich sein! Und ich sage Ihnen warum: Der Ausdruck "radikal feministisch" ist ein sehr genauer philosophischer Ausdruck. Wenn man jemanden dessen bezichtigt, dann sollte man wissen, was er bedeutet.

Christiane Amampour: Was bedeutet er denn?

Schwester Joan: Der Ausdruck kommt aus den Sechzigern. Ich denke an den Aufkleber, auf dem so etwa stand: "Eine Frau braucht einen Mann genauso wie ein Fisch ein Fahrrad braucht!" Bei dem Ausdruck geht es um Trennung und Ausschließung - die Ausschließung der Geschlechter von einander. Ich kenne keine Frau und keine Nonne, die daran glauben, dies je geglaubt haben oder darauf hin gearbeitet haben ...

Christiane Amampour: Warum sagen die es denn dann? Warum benutzen die diesen Ausdruck?

Schwester Joan: Weil das Problem nicht radikaler Feminismus ist, es ist radikaler Patriarchalismus. Hier ist der Ausschluss in die DNA eingebaut. Nirgendwo in diesen Kommissionen, bei dem Schreiben dieser Dokumente sind Frauen beteiligt. Woher wollen die wissen, was die Antwort einer Frau auf diese Dinge ist?

Es geht darum, dass man den Rest der Welt einen Teil seiner eigenen Welt machen will.

Christiane Amampour: Die Nonnen Ihrer Organisation trafen sich mit dem Vatikan, der jetzt dafür verantwortlich ist, das zu verstehen und zu lösen. Was war das Resultat des Treffens? Es scheint, dass der Vatikan einen strengen Marschbefehl gab: Entweder ihr reiht euch ein und seid folgsam oder ihr verlasst die Kirche.

Schwester Joan: Zuerst möchte ich klarstellen, dass ich früher einen Posten in der LCWR hatte - jetzt jedoch nicht mehr. Ich habe also nicht an diesem Treffen teigenommen. Und wie jeder andere habe ich die Zeitungsartikel gelesen aber die waren klar.

In diesem Treffen haben die Frauen ihren Plan dargelegt und, noch wichtiger, sie haben den Prozess dargelegt. Das ist ein Model für die ganze Kirche. Sie sagen: "Wir werden diese Entscheidung nicht treffen and wir werden euch nicht antworten. Wir werden zurückgehen und die Schwestern in den Vereinigten Staaten, unsere Mitglieder, befragen und dann werden wir euch sagen, was unsere gemeinschaftliche Auffassung ist."

So etwas passiert nicht auf der anderen Seite der Gleichung.

Christiane Amampour: Aber lassen Sie mich hier nachhaken. Sie sagen "gemeinschaftliche Auffassung". Sie als Schwestern haben bestimmt, wohin Ihr Glauben, Ihre Lehre, Ihr Auftrag und Ihr Dienst Sie führen. Aber Sie sind Teil der Römisch Katholischen Kirche. Dieser Papst und auch sein Vorgänger haben es sehr klar gemacht, dass sie zurück zum Fundamentalen wollen. Kein Vatikan II mehr. Keine liberalen Reformen mehr. Wenn Sie katholische Nonnen bleiben wollen, dann müssen Sie sich fügen und am selben Strang ziehen.

Schwester Joan: Über welchen Strang reden wir denn? Über welche Linie und welche Richtung sollte die Kirche reden? Die Schwestern werden Ihnen sagen, dass ihre gemeinschaftliche Auffassung aus dem Evangelium kommt. Das sie sich im Dienst an den Menschen sehen.

Ich glaube hier kommt es zu Spannungen und zur Kluft. Ich denke wir sehen den Unterschied zwischen den Idealen und dem täglichen Leben - zwischen dem Gesetz und den Menschen.

Wir haben hier einen Fall, wo wir mit einem Unterschied zwischen dem mittelalterlichen und dem modernen Denken konfrontiert werden. Im mittelalterlichen Denken gibt es eine Antwort auf alles - und zwar immer nur eine. Es gibt richtig und falsch und wir können euch sagen was richtig und was falsch ist. Im modernen Denken, aus dem wissenschaftlichen Zeitalter geboren, gibt es viele Antworten auf viele Dinge und wir müssen auf alles schauen, um zu wissen, was das Beste ist.

Christiane Amampour: Lassen Sie mich fragen, wie Sie auf die zweite größere Anklage, die die erheben, antworten, und zwar, dass Sie als Schwestern nicht für das "Recht auf Leben" Stellung nehmen.

Schwester Joan: Oh, darin liegt schon fast Humor. Die Schwestern leben die Fragen des Lebens - vom Kind im Bauch der Mutter bis zum Grab. Bei allem, was wir tun, geht es um den Wert des Lebens.

1977 oder 78 haben wir in der LCWR beschlossen, dass unsere Sicht von Leben, dem entspricht, was später Kardinal Bernadin als "Kleid ohne Nähte" dargestellt hat. Alle Themen, die das Leben betreffen sind wichtig und wir wollen uns nicht auf einige wenige Themen beschränken und andere als unwichtig ausschließen.

Christiane Amampour: Wenn Sie über "Recht auf Leben" sprechen, dann reden Sie über ihre Aufgaben, über ihren Dienst für die Armen, darüber den Enteigneten zu helfen, über soziale Gerechtigkeit?

Schwester Joan: Nun, ich möchte es nicht soziale Gerechtigkeit nennen. Es geht um das Leben in diesem Land zu dieser Zeit. Über hundert Jahre hatten die Schwestern in den Schulen gearbeitet, um den Schmerz des Analphabetismus zu heilen. Der Staat hat inzwischen die Verantwortung für den Analphabetismus übernommen.

Die Schwestern haben sich anderen Gebieten zugewendet, wo sie viel Schmerz sahen. Wir sahen die Schmerzen im täglichen Leben. Wir sahen den Schmerz in armen Familien. Wir sahen den Schmerz in den Gefängnissen. Wir sahen den Schmerz im Gesundheitssystem. Schwestern mit unterschiedlicher Ausbildung und unterschiedlichen Schwerpunkten engagierten sich auf diesen Gebieten, wo sie sich heute in den Dienst der Armen stellten.

Die Schwestern kümmern sich nicht nur um arme Katholiken. Sie benutzen ihre Aufgaben nicht als Ausgangspunkt um irgendein Dokument zu verkünden. Die Schwestern würden sagen, dass ihr Verständnis ihres Dienstes vom Vorbild Jesu im Evangelium kommt. Wer immer unten ist, dem wollen wir helfen wieder hochzukommen. Wer tot ist, dem wollen wir helfen, neues Leben zu gelangen. Wenn das nicht für "Recht auf Leben" ist, dann weiß ich auch nicht.

Christiane Amampour: Und denken Sie, dass die Kirche nicht will, dass Sie diese Arbeit machen?

Schwester Joan: Es ist der ihr Urteil. Die wenden ganz viel Zeit auf für Themen wie Abtreibung, Verhütung und Homosexualität und nicht genug Zeit für die vielen Themen mit denen wir jeden Tag ringen.

Es ist nicht so, dass Abtreibung, Verhütung und Homosexualität nicht wichtige Themen sind. Keine Schwester hat so etwas behauptet. Aber bei Abtreibung, Verhütung und Homosexualität da kommen theologische und wissenschaftliche Aspekte zusammen - dies sind lebendige, dynamische Themen. Diese Gesellschaft bemüht sich sehr stark und tief mit diesen Themen.

Keiner kann mit absoluter Sicherheit sagen: "Das ist Leben." Wir haben einen Klon, Dolly genannt, und jetzt weiß keiner von uns mehr genau.

Christiane Amampour: Das geklonte Schaf!

Schwester Joan: Ja, das Schaf, das geklont wurde. Es hat die Definition, was Leben ist, durcheinander gebracht. Und all diese Fragen, die werden nicht verschwinden.

Christiane Amampour: Ich wollte zurückgehen auf das, was Sie gesagt haben - es geht um Patriarchalismus.

Schwester Joan: Ja.

Christiane Amampour: Wir hatten ja dieses faszinierende Bild hier auf dem Schirm, dass die Hierarchie der katholischen Kirche zeigt - der Papst und seine Männer, alle seine Kardinäle und Erzbischöfe.

Wir wissen auch und haben eine Chart, die zeigt, dass die Zahl der religiösen Schwestern in den Vereinigten Staaten, Nonnen wie Sie, drastisch fällt. Ich möchte Sie fragen, warum? 1965 waren es noch 180.000 und 2011 nur noch 56.000.

Schwester Joan: Sicherlich. Nun, da gibt es viele Gründe - viele von ihnen liegen im gesellschaftlichen generell. Die Rotarier werden es Ihnen genauso sagen wie die Theresitinnen. Die Zahl der Neuzugänge zu den Institutionen bewegt sich wie auf einem Computerspiel oder so etwas.

Ich möchte dazu etwas bezüglich der Situation der Frauen sagen: Bis zur heutigen Zeit waren die Möglichkeiten für Frauen einen entscheidenden Beitrag zu dieser Welt zu leisten sehr beschränkt - Mutterschaft, Krankenschwester, Lehrerinnen. Wir Schwestern sind heute eine sehr ernste, sehr spirituelle Gruppe und unser Fokus liegt auf dem christlichen Dienst im täglichen Leben bei den Menschen.

Christiane Amampour: Und wenn Sie dieser Hierarchie von Männern, den Bischöfen und denen, die den Auftrag haben, diese Situation jetzt zu untersuchen, sagen, dass es nicht die Nonnen waren, die für den Sex-Skandal, der die Römisch Katholische Kirche erschüttert hat, verantwortlich waren, was sagen die dann? Sind die nicht um ihre eigene Glaubwürdigkeit besorgt, wenn die sich gegen die Schwestern wenden?

Schwester Joan: Ich habe keine Ahnung. Über diesen Punkt, da gehen die einfach hinweg. Die sehen da keine Beziehung, soviel ich weiß. Aber so viel weiß ich: Alle männlich dominierten Kirchen haben immer die Stellung der Frau besonders hervorgehoben und dann die Meinung der Frauen in allen großen Themen ignoriert. Frauen sind nicht Teil, von dem was hier im Vatikan vor sich geht. Nicht bei diesem Thema und auch bei keinem anderen.

Aber schauen Sie sich in der Welt um. Wir werden zur Ganzheit der Frau geleitet, und zwar durch Sie, durch Ihre journalistische Tätigkeit, durch die Tätigkeit von Unternehmen und Organisation um uns herum. Aber nicht durch die Kirche. Die Kirche hat keine Führungsrolle bei diesem Thema, bei dem sie eigentlich eine Führungsrolle haben sollte.

Christiane Amampour: Wir werden das weitere Geschehen auf Ihrer Seite weiter verfolgen. Schwester Joan Chittister vielen Dank, dass Sie zu uns gekommen sind!

Schwester Joan: Ich danke Ihnen, Christiane.

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