Dienstag, 19. Juni 2012

Dublin: Laien unterstützen Reformforderungen der Priester

Wird es in Irland sein, wo das Kirchenvolk mit einer Stimme "Nicht weiter so!" sagen wird?


Über 1.000 Gläubige nahmen am 14.5.2012 an einer Konferenz der Vereinigung irischer Priester (Irish Association of Catholic Priests) teil. Die Gläubigen zeigten ihre Solidarität mit den Priestern, die glauben, dass die katholische Kirche sich ändern muss, wenn sie nicht bedeutungslos werden will. 

Genau wie die Vereinigung religiöser Frauen (LCWR) in den USA, wird die Vereinigung der irischen Priester derzeit von der Glaubenskongregation in Rom untersucht. Father Tony Flannery, Gründer der Gruppe, wurde bereits "gemaßregelt".



REPORTAGE DES BBC:
(http://www.youtube.com/watch?v=2QzXbvBMPiY, eigene Übersetzung)  

Reporter: Nach Jahren zunehmender öffentlicher Ernüchterung mit der Kirche, verlangen die Priester Reformen, die vormals undenkbar waren. Mit dieser Veranstaltung habe die Priester Stärke demonstriert. Priester wie Ignatius O'Donovan wollen ein Ende des Pflichtzölibats, die Priesterweihe für Frauen und Mitbestimmung in der Wahl der Bischöfe.

Father O'Donovan: Möglicherweise haben wir dadurch, dass wir versucht haben, Skandale zu verhindern, die Mutter aller Skandale geschaffen.

Reporter: Father O'Donovan had den Mitgliederschwund in den Gemeinden erlebt, sowie den fehlenden Nachwuchs an Priesters - und, seit dem Missbrauchsskandal, eine gefährliche Entfremdung der Öffentlichkeit von der Kirche.

Father O'Donnovan: Die Kirche mag auf dem Weg in die Vergessenheit sein. Die Botschaft Christi wird weiter leben, aber wir werden nicht die sein, die sie verkünden.

Reporter: Ist es wirklich so schlimm?

Father O'Donovan: Es könnte so schlimm sein, ja.

Reporter: Gerade jetzt wo die Kirche eine starke Führung braucht, ist der oberste Kirchenführer in Irland gelähmt. Kardinal Sean Brady ist unter Druck seinen Posten aufzugeben, wegen seiner Rolle in der Vertuschung der Missbräuche.

Michael Kelly, Katholische Wochenzeitung: Die Führung der Kirche ist nicht mehr in den Händen des Kardinals, ob er das glaubt oder nicht. Die meisten Leute mit denen wir sprechen, selbst die, die dem Kardinal gegenüber positiv eingestellt sind, sehen, dass die Kirche ohne Führung ist. Selbst einige Bischöfe geben dies im privaten Gespräch zu.

Reporter: Die katholische Kirche dominierte das öffentliche Leben in Irland. Doch mit atemberaubender Geschwindigkeit hat sie Autorität und Respekt verloren. Immer öfter werben verzweifelte Priester Laien an, um ihre Forderungen nach grundlegenden Reformen zu unterstützen. Dieses Treffen ist eine noch nicht dagewesene Herausforderung an den Vatikan - eine Herausforderung, die der Vatikan mit allen Mitteln bekämpfen wird.

Traditionsorientierte Katholiken beschimpfen die Vereinigung irischer Priester als Verräter, aber die wird nicht aufgeben. 

Father P.J. Madden: In der heutigen Welt sind die Menschen gebildet und sie haben ein Recht darauf, sich eine eigene Meinung zu bilden, und ein Recht darauf, gehört zu werden. Wenn dies zu neuen Entscheidungen führt, die derzeitig Institutionen in Frage stellen, dann ist das Fortschritt und nicht Liberalismus.

Reporter: Mehr als ein Viertel aller Priester in Irland sind dieser Bewegung beigetreten. Sie fordern eine allgemeine Konferenz der Kirche in Irland um einen Weg zu finden, das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen, bevor es zu spät ist.

ENDE DES BBC BEITRAGS

Montag, 18. Juni 2012

Huffington Post Interview mit Sr. Joan Chittester

Huffington Post, 5. Juni 2012 

Paul Raushenbush, Senior Religion Editor, Huffington Post, sprach mit Schwester Joan Chittister, OSB, Erie, Pennsylvania 


Quelle:  www.huffingtonpost.com/paul-raushenbush/nun-vatican-crackdown-sister-joan-chittister_b_1570775.html?ref=religion (eigene Übersetzung) 

Anmerkung des Übersetzers: Schwester Joan ist bekannt als Autorin (über 40 Bücher) und sie hält regelmäßig Vorträge. Sie leitet das Benetvision Center für Spiritualität in der Gegenwart in Erie, Pennsylvania (www.benetvision.org). Sie schreibt regelmäßig für den Nationnal Catholic Reporter und die Huffington Post. Sie war Präsidentin der Leadership Conference of Women Religious LCWR (1976-77), Priorin der Benediktinerinnen von Erie (1979-90).
 

Paul Raushenbush: Schwester Joan, worum geht es hier eigentlich? 

Schwester Joan: Es ist ein feindliche Übernahme, daran habe ich keinen Zweifel. Die 'säubern die Kirche' - alles, nur nicht sich selber.

Paul Raushenbush: Ein Spekulation besagt, dass diese Maßregelung darin ihren Ursprung hat, dass die Schwestern President Obamas Gesetz zur Gesundheitsversorgung unterstützen.

Schwester Joan: Da bin ich mir nicht ganz sicher, aber es scheint mir, dass dies ein Wendepunkt war. Die Stellung der Schwestern zeigt modellhaftes katholisches Denken: eine Sache durchdenken und einen neuen Ansatz formulieren; neue Wege zu finden um Themen zu beeinflussen, die man für wichtig hält.

Teil dieser ganzen Sache ist - ob die in Rom sich darüber klar sind oder nicht - dass bei jeder Frage ganz stark unterschiedliche männlich/weibliche Rollenverständnisse herauskommen: Setz dich hin und halt den Mund! Papa weiß es besser. Wir sagen dir, was du denken sollst. Wir sagen dir, was du tun sollst. Woher soll eine Frau denn das wissen?

Paul Raushenbush: Wie halten die Schwestern diese ganze Sache aus?

Schwester Joan: Da wird viel gebetet und gefastet um die Verantwortlichen der LCWA zu unterstützen. Wir wollen ihnen soviel Unterstützung geben, wie wir können.

Die Schwestern sind sehr besorgt, aber sie wissen, dass die Anschuldigungen jeder Grundlage entbehren. Zum Beispiel: Wie kann Rom von radikalem Feminismus sprechen, wenn sie keine Ahnung haben, was dies überhaupt ist - das ist sehr beschämend. Die Leute, die wirklich wissen, was radikaler Feminismus ist, die horchen verdutzt auf und fragen verständnislos 'Was?' Das ist doch sehr bizarr.

Paul Raushenbush: Es findet ein ernstzunehmender Machtkampf statt. Es scheint, dass Rom die Kontrolle übernehmen könnte.

Schwester Joan: Ja. Theoretisch könnten sie das. Wenn man die Abteilungen der Kurie hierarchisch gliedert, dann ist die Glaubenskongregation die letzte Instanz -- da lässt sich offiziell keine Berufung mehr einlegen.

Ohne Frage ist es ernst - aber es geht auch darum, dass Leute in eine Ecke getrieben werden und das darf man nicht machen. Auch die Glaubenskongregation darf das nicht. Und die Laien wissen das. Wenn diese Kirche noch über Integrität verfügt, dann liegt diese in den Menschen, die den Dienst auf der Straße machen.

Paul Raushenbush: Und das sind die Schwestern?

Schwester Joan: Ja.

Paul Raushenbush: Wenn das so weiter geht - denken Sie jemals daran, die Kirche zu verlassen?

Schwester Joan: Das würde ich nicht wollen. Ich bin katholisch geboren und aufgezogen. Ich habe erkannt, dass Tradition und Institution in der Geschichte der katholischen Kirche oft nicht im Einklang waren.

Die Kirche hatt sich immer nur sehr langsam gewandelt. Das letzte Mal, als man ihr ihre Sünden aufgezeigt hat, brauchten sie 400 Jahre um zu sagen, dass Martin Luther Recht hatte und der Reliquienverkauf falsch war und die Leute die Schrift in ihrer eigenen Sprache und die Worte Jesus selber lesen können.

Es war genau das Gleiche: 'Wir sagen dir, wie du über die Schrift denken sollst, weil du das heilige Wort kaputt machen würdest. Du würdest es nicht verstehen. Du würdest es zerstören.' Wir sind darüber hinweggekommen. Und, so Gott will, werden wir auch über diese Sache hinwegkommen.

Ich sorge mich weniger um die Leute, die sich organisieren, um die Kirche zu verlassen.

Ich fürchte, dass es da draußen eine große Menge an enttäuschten Hoffnungen und an Verzweiflung gibt, und dass die Kirche die Ursache dafür ist.

Jeder spricht davon, dass der Papst ein kleinere, reinere Kirche möchte. Nun, sie haben davon auch schon im 16. Jahrhundert gesprochen. Und sie haben bekommen, was sie wollten - sie haben halb Europa verloren. Jetzt verlieren sie Irland, Österreich und auch die US-Kirche wankt. Die Menschen lieben ihren Glauben aber sie können diese Maßnahmen der Institution nicht mittragen.

Paul Raushenbush:  Was ist eigentlich mit Vatikan II passiert? 

Schwester Joan: Gute Frage. Jemand hat es entführt, als keiner hingeschaut hat. Vielleicht ist jetzt der Moment, wo wir alle entscheiden, was mit Vatikan II passiert ist. Es ist klar, dass es ein Element in der Institution gibt, das Vatikan II zerstören und auslöschen will.

Warum? Weil es die ganze Kirche zur Kirche gemacht hat. Zum ersten Mal in der Geschichte hat Vatikan II den Laizismus als Berufung anerkannt und die Laien haben das ernst genommen. Sie stehen auf, in den Straßen. Sie sagen mit welchen Themen sich die Kirche befassen muss und wo Entscheidungen getroffen werden müssen.

Paul Raushenbush: Ich bin in einer verzwickten Lage, weil ich Protestant bin. Aber viele dieser Frauen inspirieren mich und ich betrachte sie als geistliche Lehrmeisterinnen. Ich habe das starke Bedürfnis diese Frauen zu unterstützen aber viele werden mich kritisieren, weil ich nicht katholisch bin.

Schwester Joan: Wir alle sind Christen und wir alle sind in dieser Sache zusammen. Was dieser Kirche passiert, hat Auswirkungen auf Sie als Christen. Es wirkt sich auf das Bild aus, dass andere weltweit von Christen haben. Wir sind nicht allein in dieser Sache. Die Gläubigen sehen dies ganz genau und dieser Punkt ist für sie sehr klar: Nicht nur weil sie die Schwestern gerne haben oder weil sie die Arbeit schätzen, die die Schwestern machen - nein, die Gläubigen wissen, dass dies der Kirche Schaden zufügt.

Diese ganze Vorstellung, dass man freies Denken unterdrückt und das dann katholisch oder christlich nennt, das dann Verkündigung an Erwachsene nennt in einer erwachsenen Welt - das ist einfach nicht vereinbar. Schreiben Sie als Christ. Schließen Sie sich nicht aus. Ich brauche Sie.

Paul Raushenbush: Nun, viele von uns sind beunruhigt and wir wissen nicht was wir tun sollen, wenn die anderen alle Trümpfe in der Hand zu haben scheinen.

Schwester Joan: Oh ja, kein Zweifel, Menschen werden hier fertig gemacht und zerstört. Und es mag Leute geben, die sie wirklich fertig machen wollen, die sie wirklich zerstören wollen. Entweder Rom will denkende Erwachsene in der Kirche haben, die sich mit ihren eigenen Erfahrungen des Heiligen Geistes zu den Fragen einbringen - ironischerweise liegt darin schon ein großer Respekt für die Institution - oder Rom will es nicht. 

Paul Raushenbush: Ich nehmen an, Sie haben die Kritik an Schwester Margaret Fawley's Buch gesehen?

Schwester Joan: Oh, ja. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie stark mich das getroffen hat. Diese Frau hat ein so großes Verständnis, sie ist so genau, in dem was sie sagt. Ihre Antworten sind außerordentlich. Sie sagte: 'Ich habe niemals gesagt, dass ich katholische Glaubenslehre schreibe. Ich bin Theologin und ich denke diese Themen durch.' 

Wenn jemand alle eigenständige Denker zu Papageien oder Marionetten machen will, dann soll er mir doch bitte nicht mit Respekt vor dem Heiligen Geist kommen.

CNN Interview mit Schwester Joan Chittester - Abweichen von den Vorgaben des Vatikans

CNN Interview, 14.06. 2012

Christiane Amanpour im Gespräch mit Sister Joan Chittister

http://amanpour.blogs.cnn.com/category/latest-episode/ (eigene Übersetzung)



Christiane Amanpour: Willkommen zurück zum Program. Wir wenden uns nun der katholischen Kirche zu, die kürzlich einen Bericht veröffentlicht hat, der die Nonnen hier in den Vereinigten Staaten kritisiert. Er behauptet, dass die Nonnen von der Glaubenslehre der Kirche abweichen und bezieht sich auf radikal feministische Forderungen aus ihren Reihen. Mein nächster Gast ist eine praktizierende Nonne und ehemalige Vorsitzende der Gruppe, die die Mehrheit der Nonnen in den Vereinigten Staaten repräsentiert. Schwester Joan Chittister, willkommen zum Programm!

Schwester Joan: Danke, Christiane.

Christiane Amanpour: Dieses Dokument wurde veröffentlicht und es hat die Nonnen kritisiert. Lassen Sie mich ein paar Dinge erwähnen, die im Dokument angeführt werden. Wie wir bereits sagten, radikal feministische Forderungen, keine Aussagen zum Recht auf Leben, Verwirrung über die authentische Glaubenslehre der Kirche - in anderen Worten - Abweichung vom Parteiprogramm des Vatikans. Was antworten Sie darauf? Dies sind ernste Anklagen.

Schwester Joan: Ich möchte mit dem ersten Punkt beginnen, weil ich glaube, dass dieser die Säule ist, auf den die den Rest des Falls gebaut haben. Die nennen uns radikal feministisch - das ist ja peinlich! Und es ist nicht peinlich für mich - es sollte denen peinlich sein! Und ich sage Ihnen warum: Der Ausdruck "radikal feministisch" ist ein sehr genauer philosophischer Ausdruck. Wenn man jemanden dessen bezichtigt, dann sollte man wissen, was er bedeutet.

Christiane Amampour: Was bedeutet er denn?

Schwester Joan: Der Ausdruck kommt aus den Sechzigern. Ich denke an den Aufkleber, auf dem so etwa stand: "Eine Frau braucht einen Mann genauso wie ein Fisch ein Fahrrad braucht!" Bei dem Ausdruck geht es um Trennung und Ausschließung - die Ausschließung der Geschlechter von einander. Ich kenne keine Frau und keine Nonne, die daran glauben, dies je geglaubt haben oder darauf hin gearbeitet haben ...

Christiane Amampour: Warum sagen die es denn dann? Warum benutzen die diesen Ausdruck?

Schwester Joan: Weil das Problem nicht radikaler Feminismus ist, es ist radikaler Patriarchalismus. Hier ist der Ausschluss in die DNA eingebaut. Nirgendwo in diesen Kommissionen, bei dem Schreiben dieser Dokumente sind Frauen beteiligt. Woher wollen die wissen, was die Antwort einer Frau auf diese Dinge ist?

Es geht darum, dass man den Rest der Welt einen Teil seiner eigenen Welt machen will.

Christiane Amampour: Die Nonnen Ihrer Organisation trafen sich mit dem Vatikan, der jetzt dafür verantwortlich ist, das zu verstehen und zu lösen. Was war das Resultat des Treffens? Es scheint, dass der Vatikan einen strengen Marschbefehl gab: Entweder ihr reiht euch ein und seid folgsam oder ihr verlasst die Kirche.

Schwester Joan: Zuerst möchte ich klarstellen, dass ich früher einen Posten in der LCWR hatte - jetzt jedoch nicht mehr. Ich habe also nicht an diesem Treffen teigenommen. Und wie jeder andere habe ich die Zeitungsartikel gelesen aber die waren klar.

In diesem Treffen haben die Frauen ihren Plan dargelegt und, noch wichtiger, sie haben den Prozess dargelegt. Das ist ein Model für die ganze Kirche. Sie sagen: "Wir werden diese Entscheidung nicht treffen and wir werden euch nicht antworten. Wir werden zurückgehen und die Schwestern in den Vereinigten Staaten, unsere Mitglieder, befragen und dann werden wir euch sagen, was unsere gemeinschaftliche Auffassung ist."

So etwas passiert nicht auf der anderen Seite der Gleichung.

Christiane Amampour: Aber lassen Sie mich hier nachhaken. Sie sagen "gemeinschaftliche Auffassung". Sie als Schwestern haben bestimmt, wohin Ihr Glauben, Ihre Lehre, Ihr Auftrag und Ihr Dienst Sie führen. Aber Sie sind Teil der Römisch Katholischen Kirche. Dieser Papst und auch sein Vorgänger haben es sehr klar gemacht, dass sie zurück zum Fundamentalen wollen. Kein Vatikan II mehr. Keine liberalen Reformen mehr. Wenn Sie katholische Nonnen bleiben wollen, dann müssen Sie sich fügen und am selben Strang ziehen.

Schwester Joan: Über welchen Strang reden wir denn? Über welche Linie und welche Richtung sollte die Kirche reden? Die Schwestern werden Ihnen sagen, dass ihre gemeinschaftliche Auffassung aus dem Evangelium kommt. Das sie sich im Dienst an den Menschen sehen.

Ich glaube hier kommt es zu Spannungen und zur Kluft. Ich denke wir sehen den Unterschied zwischen den Idealen und dem täglichen Leben - zwischen dem Gesetz und den Menschen.

Wir haben hier einen Fall, wo wir mit einem Unterschied zwischen dem mittelalterlichen und dem modernen Denken konfrontiert werden. Im mittelalterlichen Denken gibt es eine Antwort auf alles - und zwar immer nur eine. Es gibt richtig und falsch und wir können euch sagen was richtig und was falsch ist. Im modernen Denken, aus dem wissenschaftlichen Zeitalter geboren, gibt es viele Antworten auf viele Dinge und wir müssen auf alles schauen, um zu wissen, was das Beste ist.

Christiane Amampour: Lassen Sie mich fragen, wie Sie auf die zweite größere Anklage, die die erheben, antworten, und zwar, dass Sie als Schwestern nicht für das "Recht auf Leben" Stellung nehmen.

Schwester Joan: Oh, darin liegt schon fast Humor. Die Schwestern leben die Fragen des Lebens - vom Kind im Bauch der Mutter bis zum Grab. Bei allem, was wir tun, geht es um den Wert des Lebens.

1977 oder 78 haben wir in der LCWR beschlossen, dass unsere Sicht von Leben, dem entspricht, was später Kardinal Bernadin als "Kleid ohne Nähte" dargestellt hat. Alle Themen, die das Leben betreffen sind wichtig und wir wollen uns nicht auf einige wenige Themen beschränken und andere als unwichtig ausschließen.

Christiane Amampour: Wenn Sie über "Recht auf Leben" sprechen, dann reden Sie über ihre Aufgaben, über ihren Dienst für die Armen, darüber den Enteigneten zu helfen, über soziale Gerechtigkeit?

Schwester Joan: Nun, ich möchte es nicht soziale Gerechtigkeit nennen. Es geht um das Leben in diesem Land zu dieser Zeit. Über hundert Jahre hatten die Schwestern in den Schulen gearbeitet, um den Schmerz des Analphabetismus zu heilen. Der Staat hat inzwischen die Verantwortung für den Analphabetismus übernommen.

Die Schwestern haben sich anderen Gebieten zugewendet, wo sie viel Schmerz sahen. Wir sahen die Schmerzen im täglichen Leben. Wir sahen den Schmerz in armen Familien. Wir sahen den Schmerz in den Gefängnissen. Wir sahen den Schmerz im Gesundheitssystem. Schwestern mit unterschiedlicher Ausbildung und unterschiedlichen Schwerpunkten engagierten sich auf diesen Gebieten, wo sie sich heute in den Dienst der Armen stellten.

Die Schwestern kümmern sich nicht nur um arme Katholiken. Sie benutzen ihre Aufgaben nicht als Ausgangspunkt um irgendein Dokument zu verkünden. Die Schwestern würden sagen, dass ihr Verständnis ihres Dienstes vom Vorbild Jesu im Evangelium kommt. Wer immer unten ist, dem wollen wir helfen wieder hochzukommen. Wer tot ist, dem wollen wir helfen, neues Leben zu gelangen. Wenn das nicht für "Recht auf Leben" ist, dann weiß ich auch nicht.

Christiane Amampour: Und denken Sie, dass die Kirche nicht will, dass Sie diese Arbeit machen?

Schwester Joan: Es ist der ihr Urteil. Die wenden ganz viel Zeit auf für Themen wie Abtreibung, Verhütung und Homosexualität und nicht genug Zeit für die vielen Themen mit denen wir jeden Tag ringen.

Es ist nicht so, dass Abtreibung, Verhütung und Homosexualität nicht wichtige Themen sind. Keine Schwester hat so etwas behauptet. Aber bei Abtreibung, Verhütung und Homosexualität da kommen theologische und wissenschaftliche Aspekte zusammen - dies sind lebendige, dynamische Themen. Diese Gesellschaft bemüht sich sehr stark und tief mit diesen Themen.

Keiner kann mit absoluter Sicherheit sagen: "Das ist Leben." Wir haben einen Klon, Dolly genannt, und jetzt weiß keiner von uns mehr genau.

Christiane Amampour: Das geklonte Schaf!

Schwester Joan: Ja, das Schaf, das geklont wurde. Es hat die Definition, was Leben ist, durcheinander gebracht. Und all diese Fragen, die werden nicht verschwinden.

Christiane Amampour: Ich wollte zurückgehen auf das, was Sie gesagt haben - es geht um Patriarchalismus.

Schwester Joan: Ja.

Christiane Amampour: Wir hatten ja dieses faszinierende Bild hier auf dem Schirm, dass die Hierarchie der katholischen Kirche zeigt - der Papst und seine Männer, alle seine Kardinäle und Erzbischöfe.

Wir wissen auch und haben eine Chart, die zeigt, dass die Zahl der religiösen Schwestern in den Vereinigten Staaten, Nonnen wie Sie, drastisch fällt. Ich möchte Sie fragen, warum? 1965 waren es noch 180.000 und 2011 nur noch 56.000.

Schwester Joan: Sicherlich. Nun, da gibt es viele Gründe - viele von ihnen liegen im gesellschaftlichen generell. Die Rotarier werden es Ihnen genauso sagen wie die Theresitinnen. Die Zahl der Neuzugänge zu den Institutionen bewegt sich wie auf einem Computerspiel oder so etwas.

Ich möchte dazu etwas bezüglich der Situation der Frauen sagen: Bis zur heutigen Zeit waren die Möglichkeiten für Frauen einen entscheidenden Beitrag zu dieser Welt zu leisten sehr beschränkt - Mutterschaft, Krankenschwester, Lehrerinnen. Wir Schwestern sind heute eine sehr ernste, sehr spirituelle Gruppe und unser Fokus liegt auf dem christlichen Dienst im täglichen Leben bei den Menschen.

Christiane Amampour: Und wenn Sie dieser Hierarchie von Männern, den Bischöfen und denen, die den Auftrag haben, diese Situation jetzt zu untersuchen, sagen, dass es nicht die Nonnen waren, die für den Sex-Skandal, der die Römisch Katholische Kirche erschüttert hat, verantwortlich waren, was sagen die dann? Sind die nicht um ihre eigene Glaubwürdigkeit besorgt, wenn die sich gegen die Schwestern wenden?

Schwester Joan: Ich habe keine Ahnung. Über diesen Punkt, da gehen die einfach hinweg. Die sehen da keine Beziehung, soviel ich weiß. Aber so viel weiß ich: Alle männlich dominierten Kirchen haben immer die Stellung der Frau besonders hervorgehoben und dann die Meinung der Frauen in allen großen Themen ignoriert. Frauen sind nicht Teil, von dem was hier im Vatikan vor sich geht. Nicht bei diesem Thema und auch bei keinem anderen.

Aber schauen Sie sich in der Welt um. Wir werden zur Ganzheit der Frau geleitet, und zwar durch Sie, durch Ihre journalistische Tätigkeit, durch die Tätigkeit von Unternehmen und Organisation um uns herum. Aber nicht durch die Kirche. Die Kirche hat keine Führungsrolle bei diesem Thema, bei dem sie eigentlich eine Führungsrolle haben sollte.

Christiane Amampour: Wir werden das weitere Geschehen auf Ihrer Seite weiter verfolgen. Schwester Joan Chittister vielen Dank, dass Sie zu uns gekommen sind!

Schwester Joan: Ich danke Ihnen, Christiane.