Sonntag, 17. Februar 2013

Kritische Anmerkung zur "vernünftigen" Einsicht Josef Ratzingers

Fast durch die Bank wird bejubelt, wie vernünftig der Rücktritt Josef Ratzingers ist und wie dies ein Anzeichen dafür ist, dass sich das Papstamt wandelt. Dies macht stutzig. Wenn sich alle scheinbar einmütig in ihrem Beifall überschlagen, übersieht man leicht die Gewitterwolken am Horizont.

Hoffentlich ändert sich das Papstamt – dieses Risiko ist Josef Ratzinger eingegangen, aber gewollt hat er das mit seiner Entscheidung bestimmt nicht. Eher im Gegenteil. Es ist eine Entscheidung dunkler Gefühle und nicht der klaren Vernunft.

Dunkles Gefühl 1: Wir hatten immer Recht, nur haben wir nicht stark genug gekämpft


Josef Ratzinger glaubt fest, dass alles, was die Kirchenleitung in den letzten 2000 Jahren erklärt hat, von Gott kommt und dass es die Aufgabe eines Papstes ist, dies zu verteidigen und zu bewahren. Ratzinger sieht jedoch, dass die Kirchenleitung zunehmend an Glaubwürdigkeit verliert, die Kluften und Polarisationen in der Kirche zunehmen. Anstatt daraus die Lehre zu ziehen, dass der Kurs falsch ist, schiebt er es auf seinen Gesundheitszustand: Seine Kirche ist in Gefahr, der Papst muss noch viel stärker kämpfen, doch das kann er wegen seines Gesundheitszustandes leider nicht. (Diese Art der fehlenden Einsicht erinnert an die Aussagen führender Politiker des totalitären Deutschlands zum Kriegs- und Staatsende: “Was wir wollten, war richtig, doch das deutsche Volk war zu schwach.”)


Dunkles Gefühl 2: Das Seelenheil in Gefahr


Dazu kommt, dass Josef Ratzinger festen Glaubens an das Jüngste Gericht und die Hölle ist. Gott wird ihn zur Rechenschaft ziehen, weil er als Papst nicht genug gekämpft hätte. Er könnte beschuldigt werden, dass Amt Petri veruntreut zu haben. Ratzinger sieht sein Seelenheil in Gefahr und davor hat er panische Angst.


Dunkles Gefühl 3: “Jetzt kümmere ich mich mal um mich” – die deutsche Kriegsgeneration in Pension


Weiterer verstärkender Faktor ist ein typisch deutscher: Josef Ratzinger gehört der Kriegsgeneration an, von der wir über und über gehört haben, was sie für eine schwere Kindheit hatten, wie sie sich als Opfer fühlten, wie sie nur das Gute wollten und dafür unfairer Weise bestraft wurden, wie sie sich nach dem Krieg aus dem Nichts einen hohen Wohlstand erarbeitet haben, sich erneut durch harte Arbeit für ihre Familien aufgeopfert haben. Jetzt, am Ende ihres Lebens, haben sie sich endlich einmal eine Pause verdient, kümmern sich jetzt mal nur um sich selbst. Die Übernahme traditioneller Rollen als Großeltern, Urgroßeltern, die sich die Sorgen der Jüngeren anhören und hier und da noch Ratschläge geben und für die Jüngeren eine Brücke zur Vergangenheit und Geschichte bauen, lehnen sie ab. Nicht zuletzt auch weil die Jüngeren das ja gar nicht wollen und das, was die Älteren geleistet haben, gar nicht wertschätzen und ihr “eigenes” Leben leben. Josef Ratzinger war schon bei der Papstwahl etwas ungehalten, dass er nochmal ran musste, als guter Deutscher (und auch seines Ehrgeizes wegen) hat er seine Schuldigkeit getan. Nach 8 Jahren kann ihm niemand vorwerfen, dass er sich hätte drücken wollen, aber jetzt nimmt er sich doch noch Zeit für sich. Dieses Gefühl kommt tief aus der deutschen Volksseele und wäre einem polnischen Papst völlig fremd gewesen.


Wir ändern den Kurs nicht, wir halten mit neuer Kraft verstärkt am alten Kurs fest


Folgen die Kardinäle nun den Gedankengängen unter 1) dass der Kurs nicht geändert werden darf und man jetzt umso stärker kämpfen muss, dann werden sie einen Papst wählen, der noch fundamentaler, restaurativer und rückwärts gewandter ist und der dies noch stärker erzwingt. Die Kirche wird zu einem kleinen Haufen Getreuer schrumpfen. Eine solche Geisteshaltung strahlt dann auch vermehrt auf die Politik ab und würde dann dort erneut die Denksubstanz für totalitäre Ansätze liefern. Diese Gefahr ist real, da es zum Selbstverständnis der Kardinäle und der Kurie gehört, eine gewisse Göttlichkeit für sich selbst zu beanspruchen und sie daher für Kritik gegenüber sich selbst und gegenüber ihrer Kirchenführung nicht offen sind.


Kirchenleitung aus dem Bauchgefühl, ohne Vernunft


Das Ausschalten der Vernunft und eine reine Steuerung durch Gefühle, die als göttlich gesehen werden, ist für das 21. Jahrhundert höchst gefährlich (wie es auch für das 20. Jahrhundert war). Josef Ratzinger ist ein Mensch, der zwar in der Lage ist, sich ausgezeichnet und auf hohem Niveau der theologischen und philosophischen Systeme zu bedienen, aber in seinem Innersten ist er von einer naiven und primitiven bayerischen Volksgläubigkeit aus dem 19. Jahrhundert geprägt. Diese bestimmt ihn, und nicht die Vernunft. Das Argument, die Logik, die Wissenschaft, die Theologie, sind für ihn keine Quelle der Einsicht und er benutzt sie nur zur Erklärung und Rechtfertigung seines Bauchgefühls. Diese Eigenschaft findet man auch bei den totalitären Politikern. Vor dieser Art eines rein gefühlsmäßig begründeten Herrschens, aus dunklen Gefühlen heraus, wo kein Argument, keine Einsicht und kein Dialog eine Chance hat, sollten wir im 21. Jahrhundert Angst haben.

Emsig arbeiten die schwarzen Männer der Kurie daran, die Türe, die Papst Benedikt XVI. mit seiner Entscheidung unbeabsichtigter Weise aufgestoßén hat, wieder zu schließen. Bei Vatikan II waren sie bereits ziemlich erfolgreich. Wird es ihnen erneut gelingen, den Geist der Vernunft aus der Kirche auszuschließen?

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