Freitag, 2. Juli 2010

Besuchs des Vortrags über Gertrud Luckner, 01.07.2010, Freiburg


Thema des Vortrags: Eine »Botschafterin der Menschlichkeit« in Freiburg, Gertrud Luckner und ihre Hilfe für Verfolgte

Vortrag von: Dr. Hans-Josef Wollasch

Ort/Datum: Katholische Akademie der Erzdiözese Freiburg, 01.07.2010, 19 Uhr

Ein heißer Sommertag. Zuerst waren wir in der Ausstellung "Gleiche Rechte für alle? 200 Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden" in der Sparkasse. Dort dieses Photo von Gertrud Luckner: "... die unbeugsame Katholikin Gertrud Luckner setzte sich sehr für jüdische Verfolgte in Freiburg ein." Dann, durchgeschwitzt, gingen wir zum Vortrag über die Brücke durch den Park zur Katholischen Akademie. Gottseidank: Mineralwasser. Nun ja, Raumtemperatur. 1 Euro ins Körbchen.

Was habe ich mitgenommen?

  • Es gab Menschen, die wussten was richtig und was falsch war und die sich für das Richtige eingesetzt haben.
  • Es gab Menschen, die etwas getan haben.
  • Aktuelle Botschaft: Gertrud Luckner sagte "Die Hilfe von Mensch zu Mensch versteht die Diktatur nicht." Wie weit sind wir da heute? Mit unseren Berührungsängsten. Mit unserem Sehnen nach Vater Staat.
  • Gertrud Luckner als Vorbild? Suchen junge Leute heute Vorbilder? Wie viele gibt es? Von Gertrud Luckner kann man sich ganz bestimmt etwas abgucken.
  • Auch sehr aktuell: Gertrud Luckner überlegte, wie die Gesellschaft neu aufgesetzt werden kann, damit so etwas nie wieder passiert. Gerne denken wir alle wie gut wir jetzt aufgestellt sind. Wie weit sind wir gekommen? Wie widerstandsfähig sind wir geworden?

Wie kann es sein, dass ein Staat so viel Angst hat, dass er es für nötig befindet diese Frau einzusperren?

Wie kann es sein, dass eine Frau, die nichts Unrechtes getan hat, eingesperrt wird, ins KZ gesteckt wird?

Wie kann es sein, dass in einem Staat beliebig Unrecht zu "Recht" gemacht werden kann? Dass es "Kanzler", "Staat", "Polizei", "Justiz", "Häftlinge", "Gesetze", "Verfassung" gab, die diese Bezeichnungen zu Unrecht führten und nie hätten führen dürften.

Bauchgefühl für Recht und Unrecht, Wahrheit, Entschuldigungen und Befreiung

Wie oft habe ich von der Generation meiner Eltern gehört: "Das war damals halt so. Wir wussten nicht besser. Wir wussten auch nicht. Jetzt muss aber mal Schluss sein. Andere waren auch nicht besser. Es gab ja auch viel Gutes. Wir durften ja nicht. Wir konnten ja nicht." Widerständler wie Gertrud Luckner passten nicht in dieses Denkmuster und wurden kleingemacht: "So heilig war sie auch nicht. Ohne Verantwortung für eine eigene Familie konnte sie ja leicht etwas riskieren." So etwas gab mir immer ein ganz schlechtes Gefühl.

Bei dem Vortrag hörte ich etwas, das mir noch nicht so bewusst war: "Der Widerstand war persönlich. Man kann nicht generalisieren und sagen jeder hatte eine Verpflichtung zum Widerstand gehabt. Wer hätte von dem Familienvater erwarten können, dass er sich und seine Familie großen Gefahren aussetzt?" Da bekomme ich auch ein schlechtes Gefühl. Es kommt wir etwas unausgegoren vor. Es hört sich wie eine Entschuldigung an. Ich glaube nicht, dass dies uns weiterbringt.

Könnten wir nicht Tacheles reden: Ja, wir alle konnten Recht von Unrecht nicht unterscheiden. Ja, wir alle hätten viel mehr tun sollen. Ja, wir alle waren mit Schuld. Ja, wir alle waren feige. Ja, auch wir, die wir ein, zwei oder drei Generationen später groß geworden sind, stehen in der Schuld. Diese schrecklichen Verbrechen prägen uns. Wäre das nicht "befreiend"? Wir bräuchten nicht mehr zu relativieren, zu entschuldigen, Worte zu klauben. Wir würden das komische Gefühl loswerden, das uns bei den jährlichen Gedenktagen an Kriegsende und Befreiung befällt. Nein, wir haben es nicht aus eigener Kraft geschafft uns von der verbrecherischen Diktatur zu befreien. Ja, Gottseidank war es 1945 vorbei.

Wer ist zum Vortrag gekommen?

Sehr hat mich interessiert, wer zu diesem Vortrag gekommen ist und warum. Es waren zwischen 10 und 20 Leute da, meist Grauhaarige. Kaum jemand alt genug um noch Zeitzeuge gewesen zu sein.

Schade, ich hätte fragen sollen, warum die Leute gekommen sind.

Irgendwie war da noch etwas Unbeantwortetes in der Luft. Etwas womit sich jeder noch nicht im Reinen war. Und so ein Zusammenkommen, bei dem man in einer wichtigen Sache gemeinsam weiterkommen will, das empfand ich als sehr positiv.

Ehrungen daheim für Gertrud Luckner:

Schulen wurden nach ihr benannt: Gertrud-Luckner-Realschule Rheinfelden; Gertrud-Luckner-Gewerbeschule, Waldkirch; Gertrud-Luckner-Schule, Freiburg. War von diesen Schulen jemand zum Vortrag da? Seniorenzentren - eins in Reutlingen, eins in Nahariya, Israel. Auch Bundesverdienstkreuz. Gibt es eigentlich auch eine Schule, die nach Marlene Dietrich benannt wurde?

Meine 2 Fragen zu Gertrud Luckner:

1. "Wir haben so viel Schuld auf uns geladen, wir hätten noch viel mehr machen sollen" meinte Gertrud Luckner nach dem Krieg/nach der Befreiung. Ist sie da weiter gekommen? Hat sie es verdrängt? Ich dachte an "Schindlers Liste". Schindler veräußerte Wertsachen um noch mehr jüdische Mitbürger loszukaufen vom Transport nach Auschwitz; schien verzweifelt zu sein, dass er nicht noch mehr tun konnte.

2. Warum hat Gertrud Luckner Deutschland nicht verlassen? Sie hätte doch alle Möglichkeiten der Welt gehabt, woanders zu leben. Waren die unrechtmäßigen Verfolgungen nur Randerscheinungen für sie? Ist sie bewußt geblieben um für die Verfolgten zu arbeiten? Wie hielt sie es in dem braunen Freiburg aus?

Links:

1. Ankündigung des Vortrags "Eine »Botschafterin der Menschlichkeit« in Freiburg, Gertrud Luckner und ihre Hilfe für Verfolgte" http://akademie.erzbistum-freiburg.de/akademie.php/Chronologisch/68/0/?&no_cache=1&function=1&detail=604

2. Erzdiözese Freiburg, Historische Persönlichkeiten, Gertrud Luckner http://www.ebfr.de/html/historische_persoenlichkeiten280.html

3. Ankündigung der Ausstellung "Gleiche Rechte für alle? 200 Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden" http://www.landesarchiv-bw.de/web/gleiche_rechte_fuer_alle_200_jahre_juedische_religionsgemeinschaft_in_baden/48154

4. Hinweis: "die unerschrockene Freiburgerin": Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Nachdenken über die Shoah, Mitschuld und Verantwortung der katholischen Kirche, 04.09.1998 http://www.zdk.de/data/erklaerungen/pdf/Nachdenken_Shoa_1998_09_04_1034932597.pdf

5. "Da gab es nur wenig Unrechtsbewusstsein, Mitleid oder Solidarität mit den Betroffenen, bis auf wenige Ausnahmen. Gertrud Luckner ist sicherlich das bekannteste Beispiel." Zitat aus: Freiburg im Breisgau, Amtsblatt, 21.01.2006, „Nur wenig Unrechtsbewusstsein, Mitleid oder Solidarität“, Interview mit Kathrin Clausing, Autorin der Dokumentation „Leben auf Abruf“ http://www.freiburg.de/servlet/PB/show/1173187/AB_SS_2006-0121.pdf

Literatur:

1. Gertrud Luckner «Botschafterin der Menschlichkeit», Hans-Josef Wollasch, Herder, 2005

2. «Betrifft: Nachrichtenzentrale des Erzbischofs Gröber in Freiburg» Die Ermittlungsakten der Geheimen Staatspolizei gegen Gertrud Luckner 1942 - 1944, bearbeitet und erläutert von Hans-Josef Wollasch, UVK Universitätsverlag Konstanz, 1999

3. Stille Helden, Judenretter im Dreiländereck während des Zweiten Weltkriegs, Wolfram Wette (Hg), Herder, 2005

4. Gleiche Rechte für alle? 200 Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden 1809 - 2009, bearbeitet von Uri R. Kaufmann zusammen mit Rainer Brüning, Begleitband zur Ausstellung, Herausgegeben vom Landesarchiv Baden-Württemberg, Jan Thorbecke Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildern, 2009





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